Fast immer, wenn in Gesprächen das Stichwort Beckenboden fällt, wird zunächst assoziiert, dass ich Rückbildungskurse gebe und mit Frauen arbeite, deren letzte Geburt noch nicht so lange her ist. Und wenn es darum geht, die Körpermitte zu trainieren, denken viele schnell an einen flachen Bauch und anstrengendes Training mit Sit-ups und dergleichen.
Gleichzeitig empfinden viele Frauen im Laufe ihrer 40er oder 50er, dass ihre Körpermitte beginnt, sie nicht mehr so stabil durchs Leben zu tragen. Schmerzen in Rücken, Hüfte oder Becken treten auf. Und auch der Beckenboden reagiert nicht mehr so zuverlässig, wie wir es gerne hätten. Um das zu erleben, musst Du nicht einmal Schwangerschaften oder Geburten erlebt haben.
Sind das also einfach Zeichen, dass die Jahre ins Land ziehen und Du Dich mit diesen Alterserscheinungen abfinden musst? Sind den Beckenboden und die Körpermitte zu trainieren wirklich nur Themen für die Rückbildung oder vielmehr ein lebenslanges Unterfangen?
Use it or lose it! – Nutze es oder verliere es!
Eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: Wenn Du Deine Muskulatur nicht benutzt, fängt sie an schwächer zu werden und zu verkümmern. Der Beckenboden besteht überwiegend aus Muskeln, also bedarf er auch eines regelmäßigen Trainings. Auch Deine Körpermitte, zu der der Beckenboden im Grunde dazugehört, besteht aus Muskeln, die regelmäßig eingesetzt werden wollen.
Jetzt tun wir das natürlich schon zu einem gewissen Grade einfach dadurch, dass wir uns durchs Leben bewegen. Allerdings bringt unser moderner Lebensstil so einiges mit sich, was unsere Aktivitätszeiten am Tag insgesamt bremsen. Wir sitzen viel, anstatt auf Jagd gehen zu müssen. Wir bewegen uns eher einseitig, anstatt für die Nahrungssammlung vielseitige Bewegungen über Stock und Stein vollziehen zu müssen.
Zusätzlich sind wir sind dauerhaft „on“, immer liegt irgendetwas an, muss erledigt werden und Ruhepausen erlauben wir uns meistens erst dann, wenn es bereits kritisch ist. Unser Nervensystem bekommt kaum Chancen, sich natürlich zu regulieren. Wir verlernen auf die Signale unseres Körpers zu hören, schlucken runter, verdrängen, ignorieren Beschwerden und lernen einfach damit zu leben. Weil muss ja…
Die gute Nachricht
Nun zu den erfreulichen Nachrichten: Es ist nie zu spät, all das, was wir mit der Zeit verlernt haben, wieder zu erlernen. Selbst wenn wir Verbindungen in unserem Körper „verloren“ haben, können wir diese wiederfinden. Was steckt dahinter und was genau meine ich damit?
Unsere Körper sind unglaublich clever. Sie können sich anpassen und in beeindruckendem Maße auf Belastungen reagieren. Diese Anpassungsfähigkeit hat im Grunde einen ganz simplen Hintergrund. Das, was wir brauchen und regelmäßig einsetzen, wird trainiert. Das, was wir nicht so sehr im Einsatz haben, bildet sich zurück, um uns Energie zu sparen. Eigentlich ist uns das auch bewusst, aber welche Konsequenzen das hat, ist nicht immer so deutlich.
Nimm mal ein ganz einfaches Beispiel: Trägst Du Deine Tasche immer über der rechten Schulter? Dann trag sie mal in den nächsten Tagen ganz bewusst und konsequent auf der linken Seite und beobachte, was Du dabei spürst. Und auch wie häufig Du Dich dabei ertappst, sie nach kurzer Zeit wieder auf die vertraute Seite zu wechseln. Je häufiger und konsequenter Du die ungewohnte Seite nutzt, desto weniger wirst Du diesen Wechseldrang empfinden. Denn Du hast einen Deiner blinden Flecken aufgedeckt und konntest so einem eingefahrenen Muster Variation entgegensetzen.
Lebenslanges Training? – Das klingt ja wie lebenslänglich verurteilt.
Auf den ersten Blick klingt die Konsequenz von „nutze oder verlier es“ nach einem „lebenslang“ Urteil und damit in meinen Ohren eher negativ. Ich glaube aber, man kann den Gedanken anders, positiver besetzen.
Es ist doch so, dass viele glauben, dass sie unbeweglicher werden, weil sie älter werden. Überhaupt wird vielfach angenommen, dass der Alterungsprozess automatisch und unweigerlich so einiges an Wehwehchen oder auch ausgewachsenen Beschwerden und Schmerzen mit sich bringt. Allerdings ist das eben nicht zwangsläufig der Fall.
Bewegen oder Altern?
Es ist nicht so, dass wir uns weniger gut bewegen können, weil wir altern. Sondern wir altern eher, wenn wir uns weniger bewegen. Dabei altern bitte nicht mit älter werden verwechseln. Älter werden wir alle! Wie gut wir altern, ist ein anderes Thema. Und natürlich gibt es Ausnahmen und individuelle Umstände, in denen sich das mit dem Altern auch anders darstellt.
Muss ich jetzt also doch für immer meinen Beckenboden und die Körpermitte trainieren? Ja und nein. Es kommt darauf an, was Du darunter verstehst. Statische und isolierte Übungen, wie „Fahrstuhl fahren“, die abgekoppelt von Deinem Alltag und auch noch total langweilig sind? Und dann noch Unmengen an Sit-ups hinterher? Uff! Nein, darauf hätte ich auch keine Lust und im Übrigen wäre das auch nicht wirklich zielführend.
Deine Körpermitte trainieren – Das geht auch anders
Ja, und wie trainieren wir die Körpermitte und den Beckenboden nun am besten? Indem wir uns vielseitig und ausgewogen innerhalb unseres Alltags bewegen. Indem wir unsere blinden Flecken entdecken, Bewegungs- und Haltungsmuster erkennen und lernen, wie diese mit unseren Beschwerden zusammenhängen.
Es gibt viele kleine Stellschrauben im Alltag, an denen Du schon drehen kannst, um Deiner Körpermitte wieder zu mehr Stabilität zu verhelfen. Und auch Deinen Beckenboden kannst Du mit diversen Hilfestellungen unterstützen. Du kannst zum Beispiel darauf achten, wie Du atmest. Dir die dreidimensionale Atmung als Standardatmung anzueignen, bietet Dir eine Vielzahl an Vorteilen.
Wieder zu Stabilität in Deiner Mitte zu finden, ist bei weitem nicht nur ein Thema für kurz nach Geburten. Es begleitet uns ein Leben lang. Nur haben wir uns als Gesellschaft irgendwann eine mentale Hürde auferlegt, was regelmäßige sportliche Betätigung anbetrifft. Insbesondere, wenn man nicht einer von diesen von Haus aus sportlichen Menschen ist, also vermeintlich unsportlich.
Betrachte Deinen Körper mit Neugier
Ich glaube nämlich, dass man gar nicht sportlich sein muss, um Bewegungen zu finden, die einem Wohlbefinden schenken und gesundheitsförderlich sind. Und was bedeutet es überhaupt sportlich zu sein? Wer definiert das? Wie vielen wurde schon die Freude an der Bewegung genommen, weil sie irgendetwas „falsch“ gemacht haben? Hallo Geräteturnen, Ballsport oder Leichtathletik?
Was wäre, wenn Du Deinen Körper ganz anders betrachten könntest? Mit Neugier und Faszination? Wenn Du lerntest, besser zu verstehen, wie er tickt? Warum er so reagiert, wie er es tut? Wenn Du spüren könntest, was er mag und was nicht? Was Dir gut tut? Wie hängen Deine Füße mit Deinen Hüften und Deinem Beckenboden zusammen? Oder warum hilft Oberkörperbeweglichkeit Deinem Beckenboden?
Was wäre wenn …?
Was wäre, wenn Du das Wissen dann auf Deinen Alltag anwenden und in Bewegungen umsetzen könntest, die Dir Spaß machen? Du gärtnerst eigentlich gerne, aber es ist beschwerlich geworden? Deine geliebten Spaziergänge mit Freundinnen liegen mittlerweile in der Vergangenheit, weil Du Dich zu schwach fühlst? Beim Yoga fühlst Du Dich mittlerweile auch zu alt und ungelenkig? Was wäre, wenn sich das verändern würde? Es wieder leichter ginge?
Es ist nie zu spät, Deinen Körper besser kennenzulernen und ihn liebevoll und mit wohlwollendem Blick auf Dich selbst für die nächsten Jahre zu rüsten. Das hat nichts mit Rückbildung zu tun, aber alles mit Weiterbildung. Und schlussendlich auch mit Selbstkompetenz, die Dich stärker machen kann.
Möchtest Du wieder stärker werden? Dich stabiler fühlen? Dann lass uns reden! Ich freue mich darauf, von Dir zu hören!
Anmerkung: Dieser Artikel ist an Tag 9 der Sommer-Blogdekade 2022 entstanden. Vom 21.08. bis 30.08.2022 schreiben viele Bloggerinnen in TheContentSociety innerhalb von zehn Tagen bis zu zehn Blogartikel. Es ist meine erste Blogdekade, und ich bin neugierig, wie viele Artikel ich tatsächlich in dieser Zeit erstellen kenn, ohne mich von meinem inneren Perfektionisten ausbremsen zu lassen.
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