Der Winter ist da und mit ihm wie jedes Jahr das gleiche Spiel. Sobald es draußen kühler wird und die Heizungen langsam die Luft trockener machen, geht es wieder mit dem Geschniefe los. Es wird gehustet und geniest, was das Zeug hält. Und wenn Kinder im Haushalt sind, gibt es nicht selten einen Bazillen-Ping-Pong zwischen den Familienmitgliedern, was sich auch gerne mal über Wochen hinzieht.
Sind das die Momente, die Du fürchtest und in denen Du Deinen Beckenboden besonders verfluchst? Stehen mit Taschentüchern und anderem Erkältungszubehör bei Dir auch Binden mit auf der Einkaufsliste? Dann lies weiter, hier kommen etwas Hintergrundwissen und ein paar Tipps für Dich, wie Du Deinen Beckenboden schonen kannst, damit Deine Hose bei der nächsten Erkältung möglichst trocken bleibt.
Der Aufbau der Körpermitte und die Rolle des Beckenbodens?
Wenn man sich die Körpermitte vereinfacht anschaut, dann bilden Beckenboden, Zwerchfell und die Bauch- und Teile der Rückenmuskulatur ein Gefäß. Das Zwerchfell trennt den Bauchraum nach oben hin vom Brustraum ab. Die Bauchmuskeln und die beteiligten Muskeln des Rückens bilden die Seitenwände und der Beckenboden ist, nun ja, der Boden.
Allerdings darf man sich den Beckenboden mitnichten als Boden vorstellen. Weder was die Form anbetrifft, noch die Beschaffenheit. Dieses komplexe Geflecht aus verschiedenen Muskelschichten und Bindegewebe schließt ja nicht nur nach unten den Bauchraum ab und trägt damit entsprechende Organe, sondern es soll gleichzeitig auch kontrolliert Dinge hindurchlassen können.
Wenn Du Schwierigkeiten hast, Dir vorzustellen, wie der Beckenboden dreidimensional nun genau ausschaut und aufgebaut ist, dann schau Dir kurz dieses Video an, welches ich für den Artikel über Tipps für ein nachhaltiges Beckenbodentraining gemacht habe.
Tragen und Durchlassen – Dein Beckenboden kann beides
Diese beiden Aufgaben des Beckenbodens, die eigentlich zueinander im Widerspruch stehen – tragen und halten vs. Urin, Stuhl und ggf. Baby durchlassen – machen die Sache mit dem Beckenboden häufig so knifflig. Ist der Beckenboden nicht in der Lage, hinreichend anzuspannen, kann er seine Haltefunktionen nicht mehr angemessen ausführen.
Das ist häufig der Zustand, den wir frisch nach einer Geburt vorfinden und er kann einige Unannehmlichkeiten verursachen, beispielsweise ein permanentes Druckgefühl nach unten, als ob ein Tampon nicht richtig sitzt oder Schwierigkeiten mit der Kontinenz. Geduld ist dann ein ebenso wichtiger Faktor, wie das richtige Training. Ein Besuch bei einer Beckenboden-Physiotherapeutin oder ein Beckenboden-Checkup, wie in beispielsweise Sabrina Nieland in Hamburg anbietet, ist dann sehr empfehlenswert.
Sehr häufig ist der Beckenboden aber zu stark angespannt. Auch in diesem Fall kann er seinem Job nicht richtig nachkommen, das kann verschiedene Beschwerden nach sich ziehen. Eine davon ist die leider sehr weit verbreitete Belastungsinkontinenz, also der Urinverlust in kleineren oder größeren Mengen, der bei Belastungen wie eben Husten, Niesen oder Hüpfen auftreten kann.
Warum tritt Belastungsinkontinenz auf?
Der Beckenboden soll, wie jeder andere Muskel auch, idealerweise in der Lage sein, die ganze Bandbreite seiner Funktionen ausschöpfen zu können, um im Alltag auf die jeweils auftretenden Belastungen automatisch angemessen zu reagieren. Was genau bedeutet das? Ein Muskel kann sich unter Belastung verkürzen, er kann einer Belastung standhalten und er kann sich unter einer Belastung verlängern.
Dies kann er aber nur, wenn er sich nicht dauerhaft in einem extremen Zustand befindet. Stell Dir ein mal ein Trampolin vor. Idealerweise will man es mit genau der richtigen Spannung aufhängen, um vernünftig draufspringen zu können. Wenn es zu locker hängt, kann es Dich nicht wieder nach oben federn. Und wenn es so fest gespannt ist, dass es einen brettharten Untergrund bildet, kann es das auch nicht.
Was passiert im Beckenboden beim Husten und Niesen?
So ähnlich kannst Du Dir das für den Beckenboden auch vorstellen. Nur dass die Belastung nicht durch eine hüpfende Person, sondern durch den Druck kommt, der beim Niesen oder Husten entsteht und via Zwerchfell auf den Beckenboden wirkt.
Ist der Muskeltonus, also die Anspannung, sehr gering und kann eben nicht gezielt angespannt werden, kann Dein Beckenboden dieser Belastung nicht gut standhalten. Der Durchgang für die Harnröhre wird entsprechend nicht ausreichend verschlossen und es geht was durch. Der Beckenboden ist dann hypoton.
Ist das Gegenteil der Fall, der Muskeltonus des Beckenbodens sehr hoch und dieser damit sehr angespannt, also hyperton, kann er diesen Belastungen auch nicht angemessen begegnen. Er schwingt nicht reflektorisch mit der Belastung mit, sondern bekommt sehr plötzlich sehr viel Druck ab, ohne diesen abzufedern. Auch in diesem Fall kann was daneben gehen.
Wie geht es Deinem Beckenboden?
Wenn Du jetzt von Belastungsinkontinenz betroffen bist, möchtest Du natürlich auch wissen, woran das bei Dir liegt und was Du dagegen tun kannst. Vermutlich hast Du immer gedacht oder gesagt bekommen, dass Dein Beckenboden zu schwach sei, wenn mal was daneben geht. Dabei ist schwach, wenn man vom Beckenboden redet, gar kein so passender Begriff, insbesondere wenn er hyperton ist, wie Du aus dem voranstehenden Abschnitt vielleicht schon herauslesen konntest.
Wie findest Du nun heraus, ob Du einen hypertonen, also zu stark angespannten Beckenboden hast? Symptome variieren von Frau zu Frau, aber folgende Symptome können u.a. einen Hinweis geben: Belastungs- oder Dranginkontinenz, Schmerzen beim Sex oder Einführen von Menstruationsartikeln, Schwierigkeiten einen Orgasmus zu erleben oder Schmerzen nach einem Orgasmus, Schmerzen im Becken, Druckgefühl nach unten, Schwierigkeiten zu Beginn des Urinierens lockerzulassen, langsamer Strahl, Probleme die Blase vollständig zu leeren, Schmerzen beim Urinieren, Verstopfung.
Wenn Du jemand bist, der sehr fleißig und regelmäßig „Anspannen & Loslassen“ (Kegel-Übung) Übungen gemacht hat, aber die Symptome einfach nicht weniger werden oder sogar schlimmer werden, dann liegt der Verdacht auch nahe, dass Dein Beckenboden hyperton ist.
Atmung und Haltung spielen auch eine wichtige Rolle
Zu Beginn schrieb ich, dass die Körpermitte als eine Art Gefäß verstanden werden kann, dessen Abschluss nach oben das Zwerchfell und nach unten der Beckenboden ist. Diese beiden bewegen sich idealerweise bei jedem Atemzug im Einklang miteinander. Ist dem nicht so, kann sich der Druck in diesem Gefäß, also im Bauchraum erhöhen und es ergibt sich eine zusätzliche Belastung für den Beckenboden. Daher lohnt es sich auch, Deine Atmung anzuschauen. Atmest Du standardmäßig dreidimensional in den Brustkorb oder in den Bauch?
Stehst oder sitzt Du auch eher so, dass dieses Gefäß auf der einen Seite mehr zusammengedrückt wird und Druck nach unten entsteht? Welche anderen blinden Flecken hast Du in Deiner Haltung und Bewegung? Keine Sorge, Präferenzen und Asymmetrien haben wir alle, das ist per se erstmal nicht schlimm. Nur ist es so, dass unser Körper clever ist und sich sehr gut dem anpassen kann, was wir ihm bieten. Sprich, wenn wir uns unserer Präferenzen nicht bewusst sind, schleifen sich gerne mit der Zeit Muster ein, die langfristig hinderlich werden und uns einschränken können.
Mehr Abwechslung in der Bewegung und mehr Optionen zu haben, wie wir uns bewegen können, ist für uns immer von Vorteil. Daher lohnt es sich auch herauszufinden, welche Haltungsmuster Du hast. Steht Dein Becken beispielsweise gewohnheitsmäßig nach hinten gekippt, als ob Du Dein Steißbein eingerollt hast? Wie dehnbar ist Deine hintere Beinmuskulatur? Beides hängt miteinander und mit dem Beckenboden zusammen.
Es gibt noch viele weitere Faktoren im ganzen Körper, die im Wechselspiel miteinander und aufeinander wirken und den Beckenboden beeinflussen, weswegen ein nachhaltig wirkendes Beckenbodentraining nie nur aus isolierten Beckenbodenübungen bestehen, sondern einen Ganzkörperansatz verfolgen sollte, welches diese Zusammenhänge entsprechend berücksichtigt.
3 Akut-Tipps – So schonst Du Deinen Beckenboden
Die bisher angesprochenen Aspekte zielen natürlich nicht auf die akute Situation ab, wenn Du erkältet bist. Aber sie geben Dir Kontext, worauf Du langfristig und grundsätzlich achten kannst. Denn in den meisten Fällen von Belastungsinkontinenz hat man viele Stellschrauben, an denen man für nachhaltige Besserung drehen kann. Es ist auch nie zu spät, mit entsprechendem Training anzufangen. Sprich mich gerne an, wenn Du an einer 1-1 Betreuung interessiert bist.
Wenn die Erkältung aber nun schon da ist, kannst Du immer noch was tun, um die akute Belastung für Deinen Beckenboden zu verringern, wenn Du gerade Husten oder Niesen musst.
Tipp 1: Bleib aufrecht und stabil stehen
Stell Dich so hin, dass Deine Beine ungefähr hüftbreit sind, überkreuze die Beine nicht. Der Oberkörper bleibt aufgerichtet und lang. Rolle Deine Becken werde ein, noch aus, bleib möglichst in neutraler Beckenstellung.
Durch den aufrechten Stand verhinderst Du zusätzlichen Druck im Bauchraum auf Deinen Beckenboden, der durchs Vorbeugen entstehen würde. Der neutrale Beckenstand begünstigt die Funktionalität Deines Beckenbodens und Deiner stabilisierenden Rumpfmuskulatur.
Tipp 2: Dreh den Kopf zur Seite, Kinn zur Schulter
Dreh Deinen Kopf so zur Seite, dass Dein Kinn ungefähr zur Schulter zeigt und nimm Deinen Arm so hoch, dass Du in Deine Ellenbeuge niesen oder husten kannst. Dein Oberkörper darf sich dabei im oberen Bereich auch mitdrehen, dass Du etwas schräg hinter Dich gucken kannst. Aber das Becken bleibt stabil.
Durch diese Drehung unterstützt Du zum einen die Aktivierung Deiner stabilisierenden Rumpfmuskulatur. Zum anderen nimmst Du etwas den Druck raus, der beim Husten oder Niesen von oben im Zwerchfell auf direktem Weg nach unten durch auf Deinen Beckenboden wirken würde. Vermeide es, am Bauch einengende Kleidung zu tragen, diese erhöht unnötigerweise den Druck im Bauchraum zusätzlich.
Tipp 3: Bring bewusst Länge in Deinen Beckenboden
Durch ein bewusstes tiefes Einatmen in den Brustkorb (nicht in den Bauch!), kannst Du Länge in den Beckenboden bringen. Das ermöglicht ihm eine bessere Ausgangsposition für die dann folgende notwendige Kontraktion beim Husten oder Niesen. Der neutrale Beckenstand hilft ebenso dabei, denn wenn wir das Becken eher eingerollt oder stark nach vorn gekippt haben, befindet sich die Beckenbodenmuskulatur in einem eher verkürztem Zustand.
Solltest Du schon in die Lage sein gezielt eine kleine Voranspannung zu erzeugen, so kann dies, nachdem Du Länge in den Beckenboden gebracht hast, ihm bei der reflektorisch entstehenden Anspannung unterstützen. Das beides zu koordinieren, braucht aber etwas Übung und Geduld.
Was kann ich sonst noch für meinen Beckenboden tun, wenn ich beim Husten oder Niesen Urin verliere?
Bei länger anhaltenden Hust- oder Nies-Attacken sind diese Tipps nicht immer alle umsetzbar, zumal sie zum Teil auch etwas gezielte Übung des Körpergefühls für den Beckenboden benötigen. Verzage also bitte nicht, wenn das nicht sofort klappt.
Es gibt auch noch die Möglichkeit, sich bei länger anhaltendem Hustenanfall, sich durch etwas Druck aufs Perineum zu entlasten. Das kannst Du mit Deiner Hand machen, aber etwas bequemer ist es vermutlich, sich z.B. auf eine Handtuchrolle oder ein Kissen zu setzen.
Wenn Du so krank bist, dass Du viel Zeit im Liegen verbringst, bring Dich zum Husten und Niesen in die Seitenlage und versuche trotzdem die Drehung im Oberkörper zur Unterstützung zu nehmen.
Es ist nie zu spät für Training und Prävention
Wenn Du wieder gesund bist und die Erkältung auskuriert hast, ist es sinnvoll sich zu überlegen, wie Du Dich für die nächste Runde besser vorbereiten kannst. Denn wenn Du (fast) jedes Mal beim Husten oder Niesen Urin verlierst, dann ist das zwar ein sehr weit verbreitetes, aber kein unlösbares Problem.
Es lohnt sich immer, mit entsprechendem Training für Deinen Beckenboden anzufangen. Und zwar unabhängig davon, wie alt Du bist, wie lange Deine letzte Geburt her ist oder ob Du nie eine Geburt erlebt hast.
Ziel ist es, einen reflektorisch, also automatisch angemessen auf die jeweilige Belastung anspringenden Beckenboden und Körpermitte zu haben. Das ist im Alltag ohne Erkältung ebenfalls sinnvoll und ein entsprechendes Training adressiert zum Beispiel auch andere möglichen Beschwerden rund um Becken, Hüfte und unteren Rücken.
Hast Du konkrete Fragen zu Deinen Beschwerden oder möchtest mehr über Deine Möglichkeiten erfahren, dann lass uns doch einfach mal ganz unverbindlich reden. Ich freue mich darauf, Dich auf Deiner Reise zu mehr Selbstkompetenz für Deinen Körper begleiten zu dürfen.
Liebe Aimée, vielen Dank für diesen Artikel, es ist etwas komplett Neues, was ich bis heute über Beckenboden gelernt habe. Das sind viele neue Erkenntnisse, beispielsweise Bauch- vrs. Brustatmung, die mir sehr geholfen haben. Vielen Dank! Ich freue mich auf weitere Artikeln von dir!
Liebe Natalia,
wunderbar, das freut mich sehr. Ich nehme an, Du hast die zwei Artikel zum Thema Brustkorbatmung gesehen? Da gehe ich etwas ausführlicher drauf ein. Und wenn Du Fragen hast, meld Dich gerne! Liebe Grüße!
Liebe Aimée, ein sehr spannender Artikel mit vielen wichtigen Hinweisen, die ich vorher noch nie gehört habe. Danke dir für deine sehr wichtigen Informationen.
Liebe Claudia,
Danke für Dein Feedback! Es freut mich, dass Du Hilfreiches aus dem Artikel nehmen konntest.
Leider ist so viel Wissen rund um den weiblichen Körper allgemein und über den Beckenboden speziell immer noch nicht sehr verbreitet.
Sollten im Nachklang noch Fragen auftauchen, stelle sie mir gerne, dann kann ich zielgerichtet darüber schreiben.
Liebe Grüße
Aimée