Unter ihrem Original-Titel „Atomic Habits“ lief mir „Die 1%-Methode“ bereits vor 2 Jahren über den Weg. Es dreht sich bei dieser Methode darum, mit minimalen Veränderungen, maximale Wirkung zu erzielen. Der Original-Titel spielt dabei auf die winzige Größe von Atomen an. „Habits“, also Gewohnheiten lassen sich leichter erlernen, aber auch wieder ablegen, wenn man in kleinen Schritten vorgeht.
Ich hatte damals gerade mit dem Restore Your Core® Kurs begonnen, um wieder Kraft und Stabilität in meine Körpermitte (Core) zu bekommen. In der zum Kurs gehörigen Facebook-Gruppe wurden von erfahrenen Trainerinnen viele Tipps & Tricks für den Alltag geteilt, die auf Erkenntnissen aus diesem Buch basieren. Einer davon war das sogenannte „habit stacking“, bei dem man eine schon verinnerlichte Gewohnheit mit einer noch ungewohnten verbindet. Ich setzte diese Methode sofort in die Praxis um und begann beim Zähneputzen meine Waden zu dehnen.
Im Laufe der Zeit lernte ich viele Beispiele und Prinzipien aus „Atomic Habits“ kennen, die ich für mein Training anwenden konnte. Jedoch scheiterte ich gnadenlos daran, das Erlernte in verständliches Deutsch zu übertragen. Mir fehlten schlicht passende Begrifflichkeiten. Ich hatte mich mittlerweile als Restore Your Core® Trainerin zertifiziert und wollte in der Lage sein, meine Kundinnen an meinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Sie sollten davon auch in meinem Training profitieren können.
Also besorgte ich mir letzten Herbst endlich die deutsche Ausgabe, übersetzt von Annika Tschöpe, begann zu lesen und lernte unter anderem, dass „habit stacking“ im Deutschen mit „Gewohnheitskopplung“ übersetzt wird.
Kleine Gewohnheiten sind so bedeutsam, weil sie sich aufsummieren
Bereits von der Einführung war ich gebannt. James Clear steigt mit seiner eigenen Geschichte ein. Er erzählt, wie sein Traum Profi-Baseball zu spielen aufgrund einer sehr schweren Gesichtsverletzung im Teenageralter zunächst unmöglich schien. Er kämpft sich zurück ins Team und schafft es bei Übertritt an die Universität auch dort in die Mannschaft, allerdings nicht als Stammspieler. Clear fokussiert sich darauf, alles andere in seinem Leben in Ordnung zu bringen: Schlaf- und Lerngewohnheiten, Ordnung im Wohnheimzimmer, Krafttraining. In jedem Semester erzielt er Verbesserungen in diesen Bereichen, die sich schlussendlich für ihn in einer Reihe von Auszeichnungen und Rekorden im Baseball niederschlagen.
Man fasst aufgrund dieses Werdegangs sofort Vertrauen, dass er weiß, wovon er redet. Und er legt sogleich nach: Der Abschnitt über die Grundlagen der 1%-Methode: „Wieso minimale Veränderungen Großes bewirken“, beschreibt das eindrückliche Beispiel der britischen Radrennsportler.
Ein Beispiel aus der Praxis für die Effektivität der 1%-Methode
Nach vielen Jahren schmachvoller Leistungen bekam das Team Anfang der 2000er einen neuen Coach. Dieser führte zunächst eine Vielzahl offensichtlicher und im Radsport bekannter Veränderungen. Danach aber betrachtete er auch Bereiche, die nicht so klar auf der Hand lagen. Eine große Anzahl von Stellschrauben, die jeweils nur minimal verbessert wurden, summierten sich auf und führten zu einem durchschlagenden Erfolg: zwischen 2007 und 2017 erreichten das Team die erfolgreichste Siegesserie der Radsportgeschichte.
„Sie engagierten einen Chirurgen, der allen Fahrern zeigte, wie man sich die Hände wäscht, um Erkältungen vorzubeugen. Sie fanden heraus, mit welcher Art von Kissen und Matratze die einzelnen Fahrer am besten schliefen. Sie lackierten sogar die Innenwände des Team-Lkws weiß, um kleine Staubfetzen zu erkennen, die normalerweise unbemerkt blieben, die Leistung der hochempfindlichen Fahrräder aber beeinträchtigen konnten.“
Seite 26, Die 1%-Methode von James Clear
Das klingt eigentlich so einfach, dass jede von uns diesen Ansatz für sich erfolgreich einsetzen können müsste. In den folgenden viel Abschnitten bricht der Autor verständlich runter, warum dem nicht so ist. Wir erfahren, welche Rolle Systeme und Identität spielen, und dass resultatorientierte Gewohnheiten (Ziele) uns im Weg stehen können. Aber es wird auch gezeigt, wie wir Schritt für Schritt dennoch neue Gewohnheiten annehmen können.
Vier Eigenschaften von Gewohnheiten, die uns helfen sie anzunehmen
James Clear zerlegt die Funktionsweise von Gewohnheiten in seine Bestandteile, um den jeweiligen Ansatz zur Beeinflussung zu finden. Er stellt hierzu vier Schritte dar: Auslösereiz, Verlangen, Reaktion und Belohnung. In „Die 1%-Methode“ kreiert der Autor dafür den Rahmen „Vier Gesetze der Verhaltensänderung“ und beschreibt darin, welche Eigenschaften eine gute Gewohnheit haben muss, um zu entstehen.
„Die vier Gesetze der Verhaltensänderung sind ein einfaches Regelwerk, mit dem wir bessere Gewohnheiten aufbauen können. Diese Gesetze lauten: 1. Die Gewohnheit muss offensichtlich sein, 2. die Gewohnheit muss attraktiv sein, 3. die Gewohnheit muss einfach sein, und 4. die Gewohnheit muss befriedigend sein.“
Seite 76, Die 1%-Methode von James Clear
Jeder dieser vier Eigenschaften wird ein ganzer Abschnitt mit jeweils mehreren Kapiteln gewidmet, an deren Enden auch immer eine prägnant-hilfreiche Kapitelzusammenfassung steht. Außerdem helfen viele praktische Beispiele dabei, Inspiration für die Übertragung auf das eigene Leben zu finden. Insbesondere die humorvollen Anekdoten haben mich bestimmte Gewohnheiten und Verhaltensweisen nochmal aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten lassen. Gewohnheiten können auch ihre Tücken haben, wie Clear es auf sehr menschliche Art und Weise zeigt.
„Ein anderer Fall, auf den ich bei meiner Forschungsarbeit stieß, war eine ehemalige Vorschullehrerin, die zu einem großen Unternehmen gewechselt war. Obwohl sie jetzt mit Erwachsenen arbeitete, kamen immer wieder ihre alten Gewohnheiten durch, sodass sie die Kollegen nach dem Toilettengang stets fragte, ob sie sich auch die Hände gewaschen hatten.“
Seite 82, Die 1%-Methode von James Clear
Konkrete Hilfestellung für die Umsetzung
Die einzelnen Kapitel über die jeweiligen Eigenschaften der Gewohnheiten betrachten aber nicht nur die Inspiration für die eigene Umsetzung. James Clear gibt den Lesern in „Die 1%-Methode“ auch ganz konkrete Vorschläge und Werkzeuge an die Hand, wie man sich seiner eigenen Gewohnheitsveränderung nähern kann.
So hat mir persönlich das Kapitel „So gestalten Sie ein förderliches Umfeld“ dabei geholfen, meinen Wasserkonsum anders zu gestalten. Im Gegensatz zu vielen hatte ich nie das Problem, nicht auf genug Wasser pro Tag zu kommen. Knapp drei Liter am Tag zu trinken ist für mich keine Schwierigkeit, aber der Zeitpunkt war immer ein Problem. Ich trank den größten Anteil daran zu spät am Abend und wurde dadurch nachts um 2 Uhr wach, was meine Schlafqualität massiv beeinflusste.
Um dieses Problem zu lösen, setzte ich mir das Ziel, einen Großteil der gesamten Tagesmenge bereits getrunken zu haben, bevor ich das Kind aus der Kita abhole. Um diese Gewohnheit auch tatsächlich umzusetzen, habe ich sie mir einfach und offensichtlich gemacht, in dem ich mir nun bereits zu Beginn des Tages, die notwendige Menge direkt ins Sichtfeld auf den Schreibtisch stelle.
Neue Gewohnheiten umsetzen mit der Zwei-Minuten-Regel
Wer von uns hat nicht schon mal die ganz große Veränderung geplant? Mehr Sport, mehr lesen, gesünder essen. Nur um dann doch an der Umsetzung zu scheitern. Ich habe diesen Prozess sicher schon einige Dutzend Male durchlebt. Aber wie schaffen wir es dann, uns etwas Neues anzugewöhnen?
„Wenn man eine neue Gewohnheit anfängt, sollte sie nicht mehr als zwei Minuten in Anspruch nehmen.“
Seite 199, Die 1%-Methode von James Clear
Das Prinzip der Zwei-Minuten-Regel ist die Antwort und sie findet nun zunehmend Anwendung in meinem Alltag. Zu Beginn des Jahres hatte ich mir vorgenommen, jeden Tag eine Seite zu lesen. Früher war ich immer ein Vielleser gewesen und habe das irgendwann in den letzten Jahren verloren. Eine Seite ist irre wenig für mich, es fühlte sich geradezu albern und nutzlos an, mir nur so wenig vorzunehmen.
Wenn das Hirn uns einen Streich spielt
„Da kann ich es auch gleich sein lassen“, wollte mir mein Hirn zu Beginn immer wieder sagen. Aber wenn ich es sein lasse, habe ich am Ende der Woche null Seiten gelesen. Lese ich hingegen jeden Tag eine, sind es am Ende der Woche immerhin schon sieben. Noch kein Buch, meist noch nicht einmal ein Kapitel, aber mehr als nichts ist es allemal.
„So ist es zum Beispiel sehr schwer, einen Marathon zu laufen. Ein Fünf-Kilometer-Lauf ist schwierig. Zehntausend Schritte zu tun, ist mittelschwer. Ein zehnminütiger Spaziergang ist einfach. Und die Laufschuhe anzuziehen ist sehr einfach. Wenn Ihr Ziel also darin besteht, einen Marathon zu laufen, könnten Sie es sich zur Gewohnheit machen, die Laufschuhe anzuziehen. Damit befolgen Sie die Zwei-Minuten-Regel.“
Seite 200, Die 1%-Methode von James Clear
Mittlerweile bin ich an den meisten Tagen wieder bei mindestens einem Kapitel. Seit Beginn des Jahres habe ich so viele Bücher gelesen, wie in den 10 Jahren davor nicht. Aber ich habe mich am Anfang dazu gezwungen, dass es bei einer Seite bleibt, bis mir diese Gewohnheit super leicht fiel. Jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich auch an einigen Tagen doch nicht lese, aber ich merke, wie sehr es mir dann fehlt und am nächsten Tag finde ich wieder rein.
Fazit: Ich bin begeistert, denn die 1%-Methode bietet mir großen praktischen Nutzen für meinen Alltag und im Training
Mit der Gewohnheitskopplung beim Zähneputzen fing es für mich vor fast zwei Jahren an. Weiter ging es mit Übungen beim Wäsche machen, Spülmaschine ausräumen oder anderen Alltagstätigkeiten: Sei es ein Ausfallschritt, eine Kniebeuge oder das Vorbeugen mit geradem Rücken. Ich verbinde diese Bewegungen aus dem Training mit der jeweiligen Tätigkeit. Im Laufe des Tages ergeben sich somit immer wieder Gelegenheiten, meine Körpermitte zu stabilisieren und meinen Beckenboden zu trainieren. Für mich hat sich „Die 1%-Methode“ schon zu vielen Gelegenheiten als genau der hilfreiche Reiseführer erwiesen, den ich einsetzen kann, um mir noch unbekannte Wege zu erschließen und neue Aussichten zu entdecken.
Ich wende viele Aspekte daraus für mich selber an, im Alltag und fürs Training. Gerade weil wir als Menschen dazu neigen, eine „Alles-oder-nichts-Denke“ anzunehmen, ist das Vergegenwärtigen des Nutzens kleiner Schritte für mich goldwert. Es steckt noch ein weiterer hübscher Effekt in den kleinen Schritten. Man schafft davon viel mehr und hat somit deutlich mehr Gelegenheiten zum Üben als bei einem großen. Dadurch gewinnt man an Erfahrung, Sicherheit und Routine.
Nebeneffekt: Besser Scheitern für mehr Qualität
Zunächst der Quantität Aufmerksamkeit zu schenken, führt langfristig zu mehr Qualität, als wenn man gleich auf Qualität abzielt. Einem „recovering perfectionist“ wie mir, also jemandem der seinen inneren Perfektionisten immer noch aktiv im Zaum halten muss, ist das ein immer wieder motivierender Gedanke. Ich sammle Daten und Informationen über Erfolge und Misserfolge von neuen Gewohnheiten und wie ich sie einsetze. Somit kann ich immer wieder anpassen und justieren. Und da es sich immer nur um Kleinigkeiten – 1 % eben – handelt, ist der Schaden nie wirklich größer als der Nutzen der Erkenntnis, selbst beim „Scheitern“.
Mein Fazit also: es lohnt sich, dieses Buch nicht nur zu lesen, sondern auch langfristig damit zu arbeiten. Ich nehme es immer mal wieder zur Hand, reflektiere und lese einzelne Stellen nach. Und für wen lohnt es sich, es zu lesen? Für jede, die Gewohnheiten neu einführen, wiederbeleben oder loswerden will. Viel Spaß dabei!
Herzlichen dank liebe Aimée für diese großartige Rezension.
Du hast lebendig und inspirierend geschrieben. Ich denke, ich werde das Buch kaufen und damit arbeiten und ich freue mich schon darauf.
Liebe Grüße
Romy
Liebe Romy, es freut mich, dass ich Dich habe inspirieren können.
Wenn Du es gelesen hast, sag doch mal Bescheid, was darauf Du für Dich hast nutzen können. Ich bin gespannt.
Das klingt tatsächlich so, als wenn ich dieses Buch auch brauche 😉 Vielen Dank für den lebendigen Einblick ins Buch und die vielen kleinen Beispiele, wie du das Buch in deinem vollgepackten Alltag zur Anwendung bringst
Liebe Aimée, Gute Gewohnheiten zu entwickeln, ist mir auch ein wichtiges Anliegen. Deshalb fand ich Deine Rezension besonders spannend. Du schreibst aber auch sehr inspirierend und die Gestaltung der Rezension ist sehr übersichtlich. Da meine Büchergestelle schon ziemlich voll sind, habe ich mir das Buch mal in der Onleihe-Bibliothek reserviert und freue mich schon auf die Umsetzung. Herzlichen Dank für den Buchtipp!
Ganz herzlichen Dank, liebe Susanne!
Das mit den vollen Bücherregalen kenne ich nur zu gut. Dieses Buch hier hat definitiv seinen festen Platz bei mir gefunden, wie man an den vielen Seitenmarkierungen erkennt. Andere Bücher dürfen bald wieder gehen. Vielleicht sollte ich die Zwei-Minuten-Regel mal aufs Aussortieren von Büchern anwenden.
Liebe Aimée,
sehr interessanter Blogartikel. Du hast mich überredet, auch wieder mehr zu lesen. Jeden Tag eine Seite, das sollte doch gehen! Danke für das Verbreiten dieser Idee!
Liebe Grüße Jaconette